Doris Roller ist Hausärztin und Prädikantin in Lauingen an der Donau. Ein Porträt von Axel Mölkner-Kappl
Menschen im Gottesdienst
Der Prädikant und die Prädikantin
Herr Greiner, was ist das eigentlich genau: eine Prädikantin/ ein Prädikant?
Gottfried Greiner: Prädikantinnen und Prädikanten sind Ehrenamtliche. Sie engagieren sich neben ihrem Beruf in unserer Kirche. Als Richterinnen und Ärzte, Handwerker und Landwirte, Studentinnen und Zollbeamtinnen setzen sie sich einer langen Ausbildung aus, um Gottesdienste in ihrer Gemeinde oder ihrem Dekanat feiern zu können. Nach der Ausbildung werden sie von unserer Kirche zur öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung berufen. Sie gestalten dann die Gottesdienste mit eigener Predigt und können - wenn das in der Gemeinde gebraucht wird - auch Abendmahlsfeiern leiten.
Ein Gottesdienst durch Ehrenamtliche verdient die gleiche Achtung und kann genauso gern besucht werden. Und vor allem: Es geht ja nicht um den Dienstgrad, sondern darum, ob in Verkündigung und Abendmahl das Evangelium von Jesus Christus, die gute Botschaft vom heilsamen Handeln Gottes uns Menschen zugesprochen wird."
Gottfried Greiner
Was unterscheidet den Gottesdienst eines Prädikanten/einer Prädikantin von dem einer Pfarrerin/eines Pfarrer?
Gottfried Greiner: Wir hoffen, dass im normalen Sonntagsgottesdienst - abgesehen vom Talar - kein Unterschied zu spüren ist. Selbstverständlich bringt ein Informatiker oder eine Schulleiterin die eigenen Erfahrungen in den Gottesdienst ein. Aber die Ausbildung ist so angelegt, dass der Gottesdienst eines Prädikanten die gleiche „Qualität“ in der Gestaltung aufweist und genauso ansprechend und lebendig ist.
Freilich haben Pfarrer und Pfarrerinnen noch viel mehr gottesdienstliche Aufgaben wie Kasualien (Taufe, Beerdigung, Trauung, Konfirmation usw.) und auch die vielfältigsten offenen Gottesdienstformen; dafür sind Prädikanten und Prädikantinnen - zumindest in Bayern - nicht ausgebildet und beauftragt. Vor allem aber sind Pfarrerinnen und Pfarrer für den umfassenden pastoralen Dienst beauftragt. Nicht umsonst haben Pfarrer für ihren Dienst eine langjährige Ausbildung in Theologie und Praxis.
Wieso dürfen Prädikantinnen und Prädikanten Gottesdienste feiern? Was qualifiziert sie?
Gottfried Greiner: Das muss man unterscheiden: Die Qualifikation ist eine Frage der Fähigkeiten und der Ausbildung. Was jemand darf, ist eine Frage von Berufung und Beauftragung durch die Kirche. Zunächst zur Qualifikation: Wir haben - seit 2009 noch einmal intensiviert - für die Ehrenamtlichen eine sehr solide Ausbildung. An insgesamt acht Wochenenden müssen die Frauen und Männer richtig lernen und üben. Vor der Prädikantenausbildung mussten sie die Lektorenausbildung mit ebenfalls acht Wochenenden absolvieren. Prädikant kann nur werden, wer vorher Lektor oder Lektorin war.
Am Anfang der Lektorenausbildung steht der Biblisch-theologische Grundkurs. An vier Wochenenden lernen die Teilnehmenden Grundlegendes zum Gemeinde- und Amtsverständnis, zum Alten und Neuen Testament, zum Bekenntnis und Kirchenjahr. In weiteren vier Wochenenden praktischer Ausbildung lernen und üben sie, wie sie die Liturgie ansprechend und sicher gestalten können und wie sie mit einer Lesepredigt frei und spannend sprechen. Erst nach der Lektorenausbildung kann man die Prädikantenausbildung beginnen. Vorausgesetzt, im Kolloquium - also einem Prüfungsgespräch - wird festgestellt, ob die Person für den Lektorendienst und die Prädikantenausbildung geeignet ist.
Dann geht es in die zweite Runde. Die Prädikantenausbildung umfasst dann noch einmal vier Wochenenden zu vertiefenden theologischen Fragen. Da wird über das Gottes- und Menschenbild, die Predigt alttestamentlicher Texte, über Ethik in der Predigt, über Abendmahls- und Beichttheologie, über den Heiligen Geist und die Eschatologie gearbeitet - also ein ziemlich anspruchsvolles Programm. Danach heißt es für die Teilnehmenden in weiteren vier Wochenenden: üben - nämlich das Predigtschreiben und Predigthalten und Gestalten der Abendmahlsliturgie. Jeder Teilnehmer muss zwei Predigten vor der Kursgruppe halten. Das wird besprochen. Viel Ermutigendes und Hilfreiches ist da zu beobachten; es wird aber auch kritisch rückgemeldet und, wenn nötig, Klartext geredet. Nach dem Kurs muss jeder noch einen Prüfungsgottesdienst absolvieren. Da geht es dann um die Qualifikation: Ist die Person für den Dienst geeignet?
Unsere Landeskirche bietet für die begrenzte Aufgabe also eine wirklich solide Ausbildung an. Weil immer Fragen offen bleiben und Fähigkeiten weiter geschult werden müssen, haben wir auch ein breites Fortbildungsprogramm, das von vielen Ehrenamtlichen gern und intensiv genutzt wird.
Nun zur Frage, warum Prädikanteninnen und Prädikanten Gottesdienst feiern dürfen: Erst einmal ist jeder Christ aufgerufen, das Evangelium in seinem Umfeld weiterzusagen und für andere zu beten. Wer das in der Öffentlichkeit tun soll, ist für unsere Kirche im Augsburger Bekenntnis angesprochen. Dort steht im Artikel 14, dass „niemand in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder die Sakramente reichen soll ohne ordnungsgemäße Berufung“. Das waren bisher nur ordinierte Pfarrer und seit 1975 auch Pfarrerinnen. Im und nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich allerdings der Lektoren- und Prädikantendienst entwickelt. Hier ist ein guter und wichtiger Dienst gewachsen, der in unserer Kirche nicht mehr verzichtbar ist. So hat man 2012 mit einem neuen Gesetz den Prädikantendienst gewürdigt und die „Beauftragung zur öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung“ als lebenslange ordnungsgemäße Berufung geregelt. Deshalb „dürfen" die so beauftragten Prädikanten und Prädikantinnen - im Rahmen ihrer Dienstordnung - also „vollwertige“ Gottesdienste - auch mit Abendmahl - feiern.
Kann jeder Christ und jede Christin Prädikant oder Prädikantin werden?
Gottfried Greiner: Ja, grundsätzlich kann jeder Christ, der bzw. die Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ist, die Lektoren- und Prädikantenausbildung machen. Allerdings haben wir in Bayern ein „Sendungsprinzip“. D.h. die Person wird von einer Gemeinde vorgeschlagen und angemeldet; Dekan/in und Regionabischof/bischöfin müssen die Eignung für die Ausbildung beurteilen und die Entsendung befürworten. Das hat organisatorische Gründe, weil die Gemeinde die Ausbildung unterstützen muss - auch finanziell. Vor allem aber ist es wichtig, dass die Gemeinde ihr Gemeindeglied geistlich trägt, für die Ausbildung betet und den Dienst auch annehmen soll. Ob die Person nach gelungener Ausbildung beauftragt wird, entscheiden die Regionalbischöfe.
Was sind die Stärken der Gottesdienste von Prädikantinnen und Prädikanten?
Gottfried Greiner: Die Stärken sehe ich vor allem im anderen Erfahrungsbereich der Ehrenamtlichen. Ganz unterschiedliche Menschen kommen in die Ausbildung; da sitzt die Reinigungskraft neben der Schulrektorin, der Handwerker neben dem Universitätsprofessor und der Student neben der Polizeibeamtin. Diese oft anderen Lebenswelten bringen die Ehrenamtlichen auch in ihre Gottesdienstgestaltung und Predigtarbeit mit ein. Das ist nicht besser als bei Pfarrerinnen und Pfarrern, aber eben anders - und wie auch sonst ist das Andere meist eine Bereicherung. Das ehrenamtliche Engagement ist so auch Vorbild und Anreiz für andere, sich und ihre Gaben in die Gemeinde einzubringen. Und: Wir brauchen die Ehrenamtlichen - zukünftig noch mehr -, weil das Gottesdienstangebot ja nicht weniger werden soll. Das ist doch die zentrale Aufgabe unserer Kirche: das Evangelium von Jesus Christus glaubwürdig und überzeugend weiterzusagen - dazu brauchen wir neben den Pfarrerinnen und Pfarrern auch die Ehrenamtlichen.
Lektor
Lektoren (vom lateinischen lector, zu deutsch: „Vorleser“, abgeleitet) bezeichnet zum einen das Amt, die gottesdienstlichen Lesungen vorzutragen. Zum anderen bezieht sich der Begriff auf Laien mit theologischer Grundbefähigung, die in evangelischen Kirchen an der öffentlichen Wortverkündigung beteiligt sind.
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Woran erkenne ich Prädikantinnen und Prädikanten
Gottfried Greiner: Die Ehrenamtlichen sind in der Regel am Lektoren- oder Prädikantentalar erkennbar. Der V-Ausschnitt und der rote Kragen haben keine tiefere Bedeutung. Aber die Ehrenamtlichen sollen einerseits den Talar tragen, und andererseits auch von den ordinierten Pfarrern und Pfarrerinnen unterscheidbar sein. Wir vom Gottesdienstinstitut haben auch befürwortet, dass in den seit 2012 geltenden Gesetzen die „Pflicht“ zum Tragen des Talars festgeschrieben wurde. Das liturgische Gewand lenkt die Aufmerksamkeit auf das Eigentliche im Gottesdienst und lässt die Person hinter der Aufgabe zurücktreten. Früher war es das Kennzeichen der Ehrenamtlichen, dass sie in „Zivil“ den Gottesdienst gestaltet haben; das hat dann - vor allem bei den Frauen - auch immer die Kleiderfrage in den Vordergrund geschoben. Wir wünschen uns, dass der Talar zunehmend akzeptiert und so die liturgische Aufgabe gestärkt wird.
Gottesdienst Institut
Das Gottesdienst Institut unterstützt Gemeinden, Gottesdienstteams, Ehren- und Hauptamtliche bei der Durchführung und Vorbereitung von Gottesdiensten und Andachten.
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Wie bereiten Sie zukünftige Prädikantinnen und Prädikanten auf ihren Dienst vor? Worauf legen Sie gerade bei den Gottesdiensten Wert?
Gottfried Greiner: Zur Ausbildung habe ich oben schon etwas erläutert. Neben den theologischen Grundlagen und dem geistlichen Durchdenken von Texten und Themen steht die praktische Übung ganz oben. Liturgische Präsenz wird immer wieder geübt, damit sich die Teilnehmenden eine angemessene Haltung und Sprache aneignen. Und wir üben und besprechen das Predigen nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich des Predigtvortrags. Die Predigenden sollen nicht nur die Lesepredigt oder die eigene Predigt vorlesen, sondern sollen in der Kommunikation - quasi im Dialog - mit den Gottesdienstbesuchern stehen. Das Evangelium soll als lebendiges Wort zugesprochen werden und ankommen.
Wichtig für die Ehrenamtlichen ist auch der geistliche Weg, den sie im Laufe der Ausbildung gehen. Da geschieht Glaubensbildung, weil die Menschen in ihrem Glauben gebildet werden und weil sie lernen, persönlich und überzeugend über ihren Glauben und das Evangelium zu reden.
Ein Prädikantengottesdienst, den Sie nicht vergessen werden?
Gottfried Greiner: Leider komme ich aufgrund der vielen Wochenendtagungen viel zu selten in Gottesdienste, die von Prädikanten oder Prädikantinnen gefeiert werden. Aber was mich immer wieder tief berührt, sind die Gottesdienste, die wir als Abschluss in den Ausbildungskursen feiern. Da ist die ganze Gruppe beteiligt. Und obwohl viele Liturgen am Werk sind, feiern wir einen stimmungsvollen und anrührenden Gottesdienst, bei dem jeder und jede mit Ernst und Freude bei der Sache ist.
Gottfried Greiner
Pfarrer Gottfried Greiner ist zusammen mit Valerie Ebert-Schewe und Dr. Thomas Melzl Ansprechpartner für die Ausbildung von Prädikanten und Lektorinnen im Gottesdienstinstitut.
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13.08.2021
Anne Lüters