St. Anna-Kirche in Augsburg
Altar mit Gedächtnis
Zusammen mit ihrem sechs Jahre älteren Mann Bernhard Lutzenberger hat die 50-Jährige Susanna Lutzenberger die beiden Prinzipalia entworfen und geschaffen, die aus reinem Wachs bestehen.
2012 war das Künstlerehepaar aus Bad Wörishofen, das unter dem Namen „Lutzenberger + Lutzenberger“ arbeitet, mit ihrem Entwurf zu einem Wettbewerb der St. Anna-Kirche angetreten, die verschiedene Künstler aus der Region vor die Herausforderung stellte, Abendmahlsaltar und Ambo in der Kirche neu zu gestalten; bis zu jenem Zeitpunkt verfügte St. Anna über keinen richtigen Altar, diente ein Holztisch in der Mitte des Kirchenraums als Provisorium. Dieses sollte nun durch einen – ebenfalls freistehenden-mobilen, weiterhin in der Mitte der Kirche positionierten – Entwurf abgelöst werden und der Kirche ein ganz eigenes Gesicht geben.
21.11.
Heilig Geist-Kirche, Pöcking
Trauerfeier
Donnerstag, 21.11. 9:30-10:30 Uhr
Nach langer Recherche hatten die Lutzenbergers ganz bewusst „eine Mischung aus verschiedenen rot pigmentierten Wachsen“ als Material für den Guss gewählt. „Zum Einen ist Wachs haptisch unheimlich anziehend“, erklärt Susanna Lutzenberger. „Zum Anderen hat der Altar einen Balanceakt zu bewältigen: er muss sich in der sehr reich ausgestalteten St. Anna Kirche behaupten, weshalb wir nicht auf Holz oder Stein zurückgegriffen haben, da dies ein einseitiger Brückenschlag zu bereits Vorhandenem gewesen wäre und die Blicke von der neuen Mitte – Altar und Ambo – abgelenkt hätte. Andererseits sollte er aber auch stimmig die Harmonie des historischen Raumes aufgreifen und sich damit sanft und sinnlich in das Gesamtbild fügen.“
Die Ideen und Gestaltungen der Lutzenbergers gefielen nicht nur der St. Anna-Kirche. Am 11. Oktober 2014 hat die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) dem Künstlerehepaar „Lutzenberger + Lutzenberer“ ihren diesjährigen „Kunstpreis 2014“ verliehen – auch mit Blick auf die Form jenseits der Norm.
"Der Kirchenraum erschließt sich neu"
Denn zum Einen seien es gerade Schnitt und Anordnung, die so überzeugten unterstreicht Landesbischof Bedford-Strohm. „Die Kreuzform des Altares nimmt den länglichen Bau der St. Annakirche gekonnt auf und setzt zugleich einen farblichen und gestalterischen Kontrast in dieser barocken Kirche.“
Durch die Mobilität von Ambo und Altar, die sich jederzeit an einen anderen Platz in der Kirche verschieben lassen, veränderten die beiden zentralen Elemente des Gottesdienstes „die Perspektive auf das gottesdienstliche Geschehen“, unterstreicht Bedford-Strohm. „Der Kirchenraum wird erweitert und erschließt sich neu. Altes und Bekanntes erscheint in neuem Licht.“ So hätten die Lutzenbergers ihren Leitgedanken „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ mit Gefühl und Understatement umgesetzt.
"Gerade das Nichtgeformte gefällt"
Susanne Kasch, Stadtdekanin von Augsburg, unterstreicht einmal mehr die Extravaganz, die von dem ungewöhnlichen Material ausgeht. „Altar und Ambo sind Unikate. Teile der Herstellung habe ich miterlebt – das Schmelzen des Wachses, das Gießen in die vorgefertigte Form, die Spannung beim Entfernen der Schalung. Das Material bildet Blasen und Schlieren, verhält sich eigenwillig und bildet eine eigene Farbstruktur.“
Einzigartig: Altar und Ambo in St. Anna bestehen vollständig aus Wachs.
13.08.2021
ELKB / POEP
Keine Seite des Altars sehe wie die andere aus, und je nach Sonneneinstrahlung verändere sich auch die Farbe um Nuancen. Vor allem, dass die Wände nicht glatt und gleich ausfallen, habe anfangs zu Diskussionen geführt, so Kasch. "Und gleichzeitig ist es gerade diese Individualität und das Nichtgenormte, das gefällt.“
"Spuren sind ein Zeichen des Gelebt-Werdens"
Es habe einige Zeit gedauert, bis Ambo und Altar in der Gemeinde angekommen waren, es habe „geistliche Rückfragen“ von Gemeindemitgliedern gegeben: „Ein Altartisch in Kreuzesform und das in roter Farbe – steckt da eine Opfertheologie dahinter?“ Auch seien Belastbarkeit und Dauerhaftigkeit des Materials angezweifelt und die Sorge geäußert worden, dass der Altar schnell Kratz- und Gebrauchsspuren aufweisen würde.
Mittlerweile aber sind die Fragen verklungen. Und mittlerweile hat der Altar natürlich auch Gebrauchsspuren. Und das ist gut so, sagt Susanna Lutzenberger. „Die Spuren sind ein Zeichen des Angenommen-Seins und des Gelebt-Werdens in der Gemeinde.“ Letzte Zweifel in Faszination verwandelt hat sicher auch Helmut Haug: In seinem Grußwort zur Weihe zog der katholische Stadtdekan die Parallele zu einem Bienenstock: Im Bienenstock, so Haug, sei Wachs wie eine Art materialisiertes Gedächtnis, man könne alles ablesen, was das Leben des Bienenvolkes in einem Jahr geprägt habe - Wetter, Umwelteinflüsse, Nahrung, aber auch ob die Bienen gesund waren oder ob sie von Krankheiten heimgesucht wurden. Der St. Anna-Altar sei also nicht nur ein zentrales Element für den Gottesdienst. Sondern ein geistliches Gedächtnis der Gemeinde.